Bei der Stiftung Bauhaus Dessau sind jüngst fünf „verloren geglaubte Bauhaus-Schriften“ wiederentdeckt worden. Das zumindest suggeriert der Software-Hersteller Adobe in seinem Projekt „Hidden Treasures“. Waren sie doch für den Grafiker bereits verfügbar über das „typekit“, einem Abonnement-Service für Schriftarten, die man auf seinem Computer synchronisieren oder auf einer Website verwenden kann. Fake News also?
Oder soll man es den Marketing-Experten zum 100. Geburtstag des Bauhauses schon mal nachsehen, wenn auch sie Zuflucht zum Dokudrama nehmen? „Nur 14 Jahre nach ihrer Gründung wurde die legendäre Bauhaus Hochschule für Gestaltung vom Nazi-Regime geschlossen. Viele Schätze und unvollendete Werke wurden zurückgelassen und gerieten in Vergessenheit…“ So tönt das PR-Video. Die Schriften seien „restauriert“ worden oder auch „rekreiert“ oder „für Sie neu erstellt“. Ein weiteres Video, weiter unten auf der Website, sagt dann „rekonstruiert“ – was denn nun?
Der Film vermittelt eine Vorstellung vom Prozedere:
„Unter der Leitung von Erik Spiekermann, einem der renommiertesten Typografen, wurden Buchstabenfragmente und Skizzen zu voll funktionsfähigen, digitalen Schriften rekonstruiert. Gemeinsam mit Experten der Stiftung Bauhaus Dessau leitete er die Arbeiten eines Teams aus Typografieprofis und jungen Schriftgestaltern von fünf Hochschulen verschiedener Länder.“
Die Stiftung Bauhaus Dessau hofft, auf diese Weise werde „die verloren gegangene Gestaltungsgeschichte“ „digital wiederbelebt“.
Es handelt sich offenbar um eine Art Weiterverarbeitung – welcher Art, ist offen. „Die Vorgaben“ an die Studenten, so Erik Spiekermann, „waren keine ausgestalteten Schriften, sondern Skizzen bzw. Übungen.“ Welche Originale nun aber wiederentdeckt und zu der Schriftfamilie verwandelt worden sind, deren Mitglieder Joschmi heißen, Xants, CarlMarx, Alfarn und Reross, wird nicht genau gesagt. Freilich blitzen eine Menge alter Schriftblätter in Adobes PR-Videos auf. Und natürlich zeigt die Website der Stiftung Bauhaus Dessau auch Abbildungen davon. Doch ihren Urhebern werden sie nicht zugeordnet. Und welche Neuschrift nun aus welchen Originalen oder Fragmenten entwickelt wurde, ist scheinbar auch nicht wissenswert. Doch halt, es gibt je zwei Peepholes, durch die wir auf je einen Bauhäusler und sein Bauhaus-Schriftblatt gucken dürfen - das ist jedoch alles, was Adobe uns an Originalen offenbart.
Aber lässt sich denn ohne den Vergleich mit den historischen „Vorlagen“ eigentlich ermessen, was die Schriftdesigner in diesem Projekt leisten? Als in den 1990er Jahren die ersten solcher, dem Bauhaus nachempfundenen oder von ihm inspirierten digitalen Schriften herauskamen, fand man diesen Vergleich mit dem Original auch nicht immer wichtig. David Quay und Freda Sack lieferten, als sie sich 1993 um Herbert Bayers „Versuch einer neuen Schrift“ bemühten, schon damals nicht Bayers Erstpublikation von 1926 mit. Anders dagegen verfuhren Denis Kegler 1997 und Arne Freytag (2005), die sich um ähnliche Wiederbelebungen bemühten. Heute scheint dieser Gedanke obsolet, denn die Marke genügt schon: „Bauhaus – wenns gut sein muss.“ Mehr muss der Verbraucher nicht wissen.
Ganz so leer jedoch soll der Käufer gar nicht ausgehen. Er darf mit den Schriften die Namen von fünf „legendären Bauhausmeistern“ mitnehmen: (Diese Adobe-Formulierung gefällt der Fachpresse offensichtlich, z.B. macwelt, page-online, slanted, und so multipliziert sich der Nonsense unbesehen.)
Joost Schmidt, Xanti Schawinsky, Carl Marx, Alfred Arndt und Reinhold Rossig sind als Urheber der Originalblätter genannt.
Auf Recherchen zur Bedeutung der Funde hat man in diesem Projekt verzichtet. Es war dem Designgiganten genug, die „Meister“ mit Kurzbiografien auszustatten, wo manches zu radieren wäre.
Denn Carl Marx – und das ist dankenswerter Weise im Adobe-Typekit vermerkt – sowie Reinhold Rossig waren Joost Schmidts Schüler im Schrift-Vorkurs, den der Bauhaus-Studienplan für alle vorschrieb. Dort wurde ein strammes Programm geboten, das allen Bauhäuslern ein professionell aussehendes, stilrein-zeitloses manuelles Beschriften ermöglichen sollte. Schmidt hatte den Kurs über etwa fünf Jahre hinweg ständig aufs Sorgfältigste weiterentwickelt und didaktisch aufbereitet. Man arbeitete an vorgeschriebenen Formen in vorgeschriebenen Maßen und Proportionen, mit festgelegten Werkzeugen. Man kann Schriftblätter derselben Formtypen und Ausführungen von verschiedenen Schülern finden. Noch warten derartige Behauptungen auf den umfassenden Nachweis. Ich selbst arbeite daran, und sicher manche/r andere. Doch so viel kann man bereits sagen, dass Carl Marx und Reinhold Rossig nicht als Schrifterfinder gefeiert werden müssen, sondern nur Joost Schmidt.
Das Adobe-Projekt ist auf langfristige, große Wirksamkeit angelegt. Die Schriften werden demnächst einer gründlichen Qualitätskontrolle unterzogen, indem sie in fünf weltweit ausgeschriebenen Wettbewerben verwendet werden. Für eine ungewöhnlich breite Öffentlichkeit hätte also die Zusammenarbeit mit der Stiftung Bauhaus Dessau und weiteren Fachleuten nützlich werden können, indem die Experten spannende historische Infos zu den Typografien geliefert bzw. ganz neue erarbeitet hätten. Den Designern wäre damit eine trittfeste historische Basis für ihre Entwürfe gegeben worden. Vorbei. Ist somit die Arbeit der Schriftdesigner hier “empty formal play“? (Ein Urteil von Robin Kinross, eines gründlichen Kenners der Bauhaus-Typografie, das sich schon 1993 auf Wiedererschaffungen, Remakes, Redesigns von u.a. Bauhaus-Schriften bezog.)
Die Direktorin der Stiftung Bauhaus Dessau, Claudia Perren, sagt, Hidden Treasures sei eines der Projekte, „mit denen wir das Bauhaus-Erbe am Leben erhalten möchten.“ Doch, allein gelassen mit Joschmi & Co, ohne Joost Schmidt & Co dazu gehört und verstanden zu haben, muss man befürchten, dass die Schätze für weite Teile der Öffentlichkeit hinter der legendären Hülle „Bauhaus“ im Verborgenen bleiben.
Ergänzend zum Thema lesen:
Interview mit Erik Spiekermann in der FAZ:
Sie schreiben: »Waren sie doch für den Grafiker bereits verfügbar über das „typekit“, einem Abonnement-Service für Schriftarten, die man auf seinem Computer synchronisieren oder auf einer Website verwenden kann. Fake News also?« Abgesehen von dem hier wenig angemessenen Bezug auf diesen diffamierenden Ausdruck zeigen Sie damit vor allem, dass Sie nicht vertraut sind mit der digitalen Welt. Typekit ist Adobes Lieferservice für digitale Schriften. Nachdem die neuen Entwürfe nach Qualitätskontrolle durch uns und durch Adobe als saubere Daten vorlagen, wurden sie auf Typekit veröffentlich und für den kostenlosen Download angeboten. Also nix Fake. Unsere Aufgabe (Ferdinand Ulrich und ich haben das Projekt betreut) war es, aus dem Archiv in Dessau Skizzen zu holen, die taugten, zu brauchbaren Schriften vervollständigt zu werden. Dazu habe ich Studenten aus einschlägigen Schulen eingeladen und deren Arbeit begleitet (alles übrigens innerhalb von 6 Wochen, was nur gelang, weil ich überall Kollegen habe, deren Mithilfe ich einfordern konnte). Das theoretische Umfeld haben die Kolleginnen in Dessau geliefert und Adobes PR-Leute haben das alles zusammengerührt zu einem halbhistorischen Brei, den wir auch nicht besonders gut fanden. Aber Adobe ist Softwarehersteller und kein akademisches Institut. Das habe ich vorher gewusst und meine Erwartungen an die historische Treue und inhaltliche Tiefe waren entsprechend gering. Aber immerhin wurden 6 Studenten aus vielen Ländern sehr ordentlich bezahlt und konnten ihre Arbeit international vorstellen. Ich war nur Kurator und technischer Berater, denn einige Schriften habe ich ja selbst entworfen und für Adobe etliche Publikationen verfasst und bearbeitet. Auch die Interviewer – selbst in deutschen Publikationen – haben falsch zitiert und oft, was besonders peinlich ist, mich als Urheber der Schriften genannt. Auch wenn Sie im akademischen Sinne recht haben, das Projekt als oberflächlich abzutun, war es aber kein akademisches Unterfangen, sondern eine praktische Arbeit, die dazu diente, Adobe gut aussehen zu lassen im Bauhaus Jahr, mir und meinen Mitarbeitern Gelegenheit bot, im Archiv in Dessau die Originale anzufassen und den Studenten eine praktische, gut bezahlte Arbeit ermöglichte. Weltweit wurden so mehr Menschen mit dem typografischen Erbe des Bauhaus bekannt gemacht, als alle unsere Artikel in den Fachzeitschriften und -büchern je erreichen werden. Um den Preis der Oberflächlichkeit gewiss, aber viele sogenannte Fachbücher sind da auch nicht viel besser. Wir sind jedenfall stolz auf das Projekt, auch wenn wir gelegentlich nicht fassen konnten, welcher Blödsinn von PR-Agenturen und nichtsahnenden Journalisten verzapft wurde. Aber damit muss man bekanntlich leben, wenn man in der Öffentlichkeit arbeitet.
Danke für Ihren Kommentar! Die „Fake News“ bezogen sich nur auf die widersinnige Zeitenfolge in der Adobe-Darstellung. Und Sie haben Recht, mit der digitalen Herstellung von Schriften bin ich wahrhaftig nicht vertraut. Nur mit den historischen Aspekten des Projekts. In dem Wissen, dass die Schriftübungen vom Bauhaus bzw. von Schawinsky hier falsch eingetütet worden sind, kann ich mich einfach nicht darüber freuen, dieses "typografische Bauhauserbe“ weiter denn je verbreitet zu sehen.
Das Gutenberg-Museum in Mainz interessierte sich für das Verhältnis zwischen historischer Arbeit und freier Erfindung in diesem Projekt. Es fragte Sie in einem Interview:
"War die Arbeit mit den Fragmenten der Bauhaus-Meister mehr Archäologie oder kreativer Prozess?"
Ihre Antwort darauf verstehe ich nicht:
"Beides. Bei allen Arbeiten mit historischen Quellen muss man raten, was damals wohl die Absicht war, was technisch nicht besser ging und was der/die Entwerfer*in vielleicht nicht besser konnten."
Warum raten? Es gibt Forschungsergebnisse.
(„Alles sollte neu gedacht werden.“ Interview mit Erik Spiekermann in der Oktoberausgabe des Magazins „bauhaus100“)